Forensische Psychiatrie

Die Wortverbindung “Forensische Psychiatrie” stellt für sich genommen schon einen eigenen Komplex dar, bringt sie doch zum Ausdruck, daß sich hierbei 2 Fachgebiete begegnen, miteinander verbunden sind, die ansonsten eigene Wissenschaftsgebiete darstellen - die Rechtswissenschaft und die Psychiatrie als Teilgebiet der medizinischen Wissenschaft.

Die historischen Wurzeln der Forensischen Psychiatrie reichen bis weit vor die Zeitenwende und im römischen Recht finden sich bereits Hinweise für die Besonderheiten im Umgang mit psychisch Kranken. So unterscheidet das römische Tafelgesetz -Lex duodecim tabulorum (ca. 480 vor Christus) in “Furosi - die Rasenden” und “Prodigi - die Verschwender”.

Die Rasenden, Verblödeten und Toren gingen nach römischem Recht straffrei aus und auch Affekt und Trunkenheit wirkten sich strafmindernd aus.

Etwa 2000 Jahre später empfiehlt dann erstmals Paolo Zacchia (1584 ¬1659) die ärztliche Einflußnahme bei bestimmten Verfahren und er meint, daß Geisteskrankheiten Leiden des Gehirns sind, den nur dem Arzt bekannt sind. Er unterscheidet 3 Formen von Geistesstörungen:

  • Fatuitas (Geistesschwäche, Stumpfsinn),
  • Phrenitis (Wahn, Halluzinationen, Delir),
  • Insania (gänzlicher Verlust des Verstandes).

Der Rechtsphilosoph Pufendorf (1632 - 1694) meint, daß die Willensfreiheit die Grundlage für die Verantwortung des Menschen sei und ein Willensdefekt zur Zurechnungsunfähigkeit führt.

Die weitere Entwicklung durch die Jahrhunderte hindurch war vielgestaltig und heutzutage wird der forensische Psychiater innerhalb zahlreicher Rechtsgebiete als Sachverständiger hinzugezogen. So gehört es zu seinen Aufgaben, im Strafrecht zur Frage der Schuldfähigkeit Stellung zu nehmen, Empfehlungen darüber abzugeben, ob eine Unterbringung im Psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt aufgrund des psychischen Zustandes des Täters erforderlich ist, Aussagen zur Kriminalprognose zu tätigen und gelegentlich auch die Verhandlungsfähigkeit zu beurteilen.

Im Zivilrecht sind Geschäfts-, Prozeß- und Testierfähigkeit zu beurteilen und ggf. die Notwendigkeit einer Betreuung.

Auch im Sozial-und Verkehrsrecht ist der forensische Psychiater gefragt, er muß ggf. die Notwendigkeit einer richterlichen Unterbringung beurteilen und wird zu Fragen der Geschlechtszugehörigkeit im Rahmen des transsexuellen Gesetzes gehört.

Wenden wir uns wieder dem Strafrecht, dem Hauptaufgabengebiet des forensischen Psychiaters zu, da sich hierbei ganz besonders die Komplexität des Herangehens zeigt. Da es zum einen die Phase der Begutachtung, in der der Psychiater für seinen Auftraggeber, die Justiz, tätig wird. In der Vielzahl der Fälle werden die Gutachten aber nicht ausschließlich vom psychischen Befund her aufgebaut, sondern es werden Psychologen hinzugezogen, Labor- und apparative Diagnostik -Elektroencephalogramm, Computertomogramm -veranlaßt.

Hat das erkennende Gericht die Unterbringung des Täters in einem Psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt angeordnet, so macht sich in der Phase der Behandlung des vormaligen Täters eine komplexe, multiprofessionelle Therapie erforderlich. Eine psychische Erkrankung oder Störung, die sich in einer Straftat entäußert und zeigt, bedarf einer vielgestaltigen Einflußnahme therapeutischer Aktivitäten und Einflußnahmen und ausschließlich im kollegialen Zusammenwirken unterschiedlicher therapeutisch-wirksamer Berufsgruppen kann der Versuch unternommen werden, die psychische Erkrankung oder Störung zu bessern. Neben Ärzten und Psychologen sind in gleicher Weise die Mitarbeiter des Pflege-und Sozialdienstes, Ergo-, Sport- und Kreativtherapeuten gefragt, wobei jede Berufsgruppe nach individueller Notwendigkeit ihr therapeutisches Repertoire zum Einsatz bringt. Die Einbeziehung extramoraler therapeutischer Einrichtungen und Kontakte versteht sich von selbst und eine besondere Gewichtung kommt unserer Meinung nach der Einstellung des betreffenden Patienten und seiner Mitarbeit im therapeutischen Prozeß zu. Die Therapie von psychisch kranken Rechtsbrechern fordert während der klinischen Phase ein hohes Maß an Kollegialität und ausgewogener Teamarbeit. Diese Teamarbeit soll einen weitestgehenden Praealitätsbezug zum Leben außerhalb von Mauern und Gittern haben, wenngleich Entscheidungen notwendigerweise hierarchisch beigeführt werden müssen.

Ist der Zeitpunkt erreicht, daß die Vorbereitungen anlaufen können zu erproben, ob der psychisch kranke Rechtsbrecher außerhalb des Maßregelvollzuges keine weiteren erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begeht, ist sein psychischer Zustand also insoweit gebessert, ist erneut und in hohem Maße ein integratives Zusammenwirken der Betreuungsprozeß Beteiligten dringend erforderlich und die Zusammenarbeit zwischen der Institution Klinik mit den Gegebenheiten vor Ort, in der Gemeinde, muß ein hohes Maß an Verbindlichkeit für das Patientenwohl und weitergehend für das Wohl der Gesellschaft allgemein besitzen. Haben die klinischen Therapiemöglichkeiten Erfolg gezeigt und ist beim Patienten eine Besserung eingetreten, so wird im Zuge der engeren Rehabilitation eine Überleitung von drinnen nach draußen vorgenommen und die Entlassung vorbereitet. Diese findet ihren sichtbaren Ausdruck der Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung mit anschließender Führungsaufsicht und bis zu deren Ende sollte günstigsten Falls die Nachsorge gehen. Gerade in dieser 3. Phase ist die Kreativität der klinischen Mitarbeiter gefragt, Verbündete in der Gemeinde für den Betreuungsprozeß zu finden. Diese Überleitungszeit bezeichnen wir als die Zeit des sogenannten “Probewohnen” und sie dauert über einen Zeitraum von 6 -12 Monaten. Während dieser Zeit ist der jeweilige Patient noch der Klinik zugehörig, hält sich aber bereits in Komplementär-oder Nachsorgeeinrichtungen oder der eigenen Wohnung auf und unter Einbeziehung der Sozialpsychiatrischen Dienste der Gemeinde, regionalen Hilfsangeboten wie z.B. Betreuungsvereine oder Selbsthilfegruppen wird der Versuch unternommen, ein tragfähiges Netzwerk zu knüpfen, um dem gebesserten Patienten die Reintegration in die Gesellschaft zu ermöglichen. Partner für ein solches Netzwerk sind neben der Klinik und ihren Mitarbeitern sowie dem genannten Sozialpsychiatrischen Dienst medizinische Behandlungs- und Betreuungsmöglichkeiten wie Therapeuten und Heime auch Ämter wie Sozial- und Arbeitsamt sowie Einrichtungen der Justiz wie Bewährungshilfe und Führungsaufsichtsstelle.

Zusammenfassend und abschließend soll die Feststellung getroffen werden, daß wir den Bereich Forensische Psychiatrie -Maßregelvollzug als ein komplexes Netzwerk verstehen und wir wünschen uns eine klientenbezogene und rechtzeitige Verantwortungsübernahme des einzelnen und das Zusammenwirken aller Helfer in einem multiprofessionellen Team unter aktiver Mitarbeit des Betroffenen zu seinem Wohl und dem der Gesellschaft von uns allen.